Dass traumatische Erlebnisse der Mutter während der Schwangerschaft nicht nur die eigene Stressregulation sondern auch die der Föten zeitlebens verändern können, ist schon länger bekannt. Zudem wurde mehrfach gezeigt, dass dafür epigenetische Veränderungen verantwortlich sind, die die Aktivierbarkeit solcher Gene steuern, die eine wichtige Aufgabe in der so genannten Stress-Achse übernehmen (siehe z. B. Newsletter Epigenetik 4/2011: Stress und seine epigenetischen Folgen). Eine vergleichbare Wirkung haben Traumatisierungen in der Zeit nach der Geburt. Was nun aber Rachel Yehuda vom Mount Sinai Hospital in New York und Elisabeth Binder, Direktorin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München mit ihren Teams entdeckten, ist neu: Offenbar verändern auch Traumatisierungen aus der Zeit vor der Schwangerschaft die Epigenome später gezeugter Kinder. Die nächste Generation erbt eine veränderte Stressregulation. Dieser Befund könnte erklären, warum Kinder von Holocaust-Überlebenden häufiger an Stresskrankheiten leiden als andere Menschen.
Die Forscher untersuchten das Erbgut von 32 jüdischen Personen, die während des Holocausts in einem Konzentrationslager gefangen waren, gefoltert wurden oder sich verstecken mussten. Bei ihnen ist ein Gen namens FKBP5, das für die Stressregulation wichtig ist, im Vergleich mit gleichalten Juden, die nicht unter dem Holocaust leiden mussten, an einer bestimmten Stelle besonders stark methyliert (siehe auch Newsletter Epigenetik 1/2013: Der Resilienz-Faktor). Interessanterweise zeigen die Kinder der Holocaust-Überlebenden an exakt der gleichen Stelle ebenfalls eine epigenetische Auffälligkeit, die allerdings in die entgegengesetzte Richtung weist. Bei ihnen sind in Bezug zu den Kindern der Vergleichsgruppe auffallend wenige Methylgruppen an den entsprechenden DNA-Abschnitt angelagert. Man habe den Auslöser statistisch klar einkreisen können, betont Rachel Yehuda: „Die epigenetischen Veränderungen bei den Kindern scheinen nicht durch Erfahrungen in der Kindheit verursacht worden zu sein, sondern können tatsächlich nur durch das Holocaust-Erleben der Eltern erklärt werden.“
„Zusammenfassend sprechen unsere Daten dafür, dass die physiologische Stressantwort der Nachkommen stark traumatisierter Menschen generationsübergreifend epigenetisch geprägt wird. Das kann zum erhöhten psychopathologischen Erkrankungsrisiko der folgenden Generation beitragen“, folgern die Forscher. Schlagzeilenträchtig ließe sich auch formulieren: Traumata werden vererbt!
Völlig unklar bleibt indes, auf welchem Weg die Vererbung stattfindet. Möglich ist, dass ein ungewöhnlicher Stresshormonspiegel im Blut der Schwangeren die Stress-Achse des Föten anders prägt als bei anderen Kindern. Denkbar ist aber auch, dass das Trauma die Epigenome der elterlichen Keimzellen verändert, so dass die Anweisung zur vorsorglichen Anpassung an eine extrem belastende Umwelt direkt per Ei oder Spermium vererbt wird (transgenerationelle epigenetische Vererbung). Dass grundsätzlich beide Wege funktionieren, legen zahlreiche Tierversuche aus der letzten Zeit nahe. Bezogen auf den Menschen müssen zukünftige Studien also noch zeigen, wie er Traumata vererbt. Die Frage, ob er das tut, scheint jetzt immerhin geklärt.