Schon seit Jahren setzen Onkolog*innen epigenetisch wirksame Medikamente gegen Krebs ein. Als Mittel der Wahl zur Bekämpfung fortgeschrittener Myelodysplastischer Syndrome (Hochrisiko-MDS) galt zum Beispiel schon im Jahr 2010 die Substanz 5-Azacitin (dieser Newsletter berichtete). Wie das sehr nah verwandte Decitabin ersetzt Azacitidin während einer Zellteilung Cytosinbasen in der DNA, die eine Methylgruppe tragen. Danach entsteht an dieser Stelle nur noch unmethylierte, also epigenetisch nicht markierte DNA. So werden in der Regel Gene wieder aktivierbar, die vorher stumm geschaltet waren.
Jetzt verglichen Mediziner*innen um den Freiburger Onkologen Michael Lübbert in einer großen Studie bei 606 Patient*innen mit der Blutkrebserkrankung Akute Myeloische Leukämie (AML) die Wirkung von Decitabin mit jener einer klassischen, intensiven Chemotherapie. Die Erkrankten waren zuvor per Zufall auf eine von zwei Behandlungsgruppen aufgeteilt worden.
Das Ziel der Mediziner*innen war es, die Verfassung der Erkrankten so weit zu stabilisieren, dass sie bereit für eine Stammzelltherapie waren – also für den Ansatz einer Heilung. Bei etwa vier von zehn Betroffenen gelang das auch. Ein knappes Drittel aller Patient*innen überlebte mindestens die ersten vier Jahre nach Behandlungsbeginn. Das war unabhängig davon, ob sie vor der Transplantation die deutlich besser verträgliche Therapie mit der epigenetisch wirksamen Substanz oder die nebenwirkungsreichere Standard-Chemotherapie erhalten hatten.
Michael Lübbert fasst das Ergebnis zusammen: „Bei gleicher Wirksamkeit ist die demethylierende Therapie weniger toxisch.“ Das freue ihn sehr, denn für die Betroffenen bedeute es vor allem eine bessere Lebensqualität. Inzwischen verfolgten immer mehr Kolleg*innen diese neue Strategie der AML-Behandlung mit dem epigenetischem Medikament. Das fühle sich fast schon an wie ein „Wendepunkt“: „Endlich kommen wir weg von der seit 50 Jahren etablierten, toxischen Behandlung, weil wir etwas Besseres gefunden haben.“