Dass Stress eine gute und eine schlechte Seite hat, ist eine Binse. In Maßen und verbunden mit dem Erlebnis der positiven Überwindbarkeit machen uns belastende und anstrengende Erfahrungen stärker und widerstandsfähiger. Werden Belastungen hingegen übermächtig oder dauern unentwegt an, wird der von ihnen ausgelöste Stress toxisch. Dann steigt das Risiko für so genannte Stresskrankheiten. Sind wir noch im Mutterleib, reift unser Gehirn. Dann reagiert es besonders sensibel auf Signale aus seiner Umgebung. Diese steuern ein Stück weit die Gehirn-Entwicklung. Evolutionsbiologisch gesehen macht es dabei Sinn, dass auch Informationen über die Umwelt sowie die Lebensbedingungen der Mutter Einfluss nehmen.
Jetzt liefert ein internationales Team von Wissenschaftler*innen um Elisabeth Binder vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München neue Hinweise, welche molekularbiologischen Prozesse die vorgeburtliche Prägung der Resilienz beeinflussen. Eine zu hohe Konzentration von Stresshormonen im Mutterleib verändert beim Fötus dauerhaft die Umgebung der Gene in wichtigen Nervenzellen. Daraufhin reagieren diese Zellen auf zukünftigen Stress empfindlicher als gewöhnlich geprägte Zellen.
Die Forscher*innen untersuchten in Petrischalen heranreifende Zellen einer Hirnregion namens Hippocampus. Diese versetzten sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit mehr oder weniger großen Mengen künstlichen Cortisols. Auf das Stresshormon kann praktisch jede unserer Zellen mit Hilfe spezieller Rezeptoren auf individuelle Art reagieren. So offenbar auch die Vorläuferzellen des für die Stressregulation wichtigen Areals: Die aktivierten Rezeptoren verstellten bei fast 4 000 Genen, wie stark diese abgelesen wurden. Doch das geschah nicht nur auf direktem Weg, sondern auch indirekt mit Hilfe epigenetischer Veränderungen. An fast 28 000 Stellen am Erbgutmolekül DNA der untersuchten Zellen waren plötzlich deutlich mehr oder weniger Methylgruppen angelagert.
Empfänglich für die Umprogrammierung scheinen die Zellen übrigens nur zu sein, so lange sie noch nicht voll ausgereift sind. Zudem verschwindet die direkte Wirkung des Cortisols auf die Genaktivität nach einer gewissen Zeit. Zumindest ein Teil der epigenetischen Veränderungen bleibt jedoch dauerhaft bestehen. Und dieser Teil ist vermutlich verantwortlich für das zweite wichtige Resultat der Studie: Wurden die gleichen Zellen später erneut mit Cortisol behandelt, reagierten sie früher und stärker als gewöhnliche Hippocampus-Zellen. Der Sollwert, ab dem sie auf Stress antworteten, war verstellt. Ein solcher Mechanismus könnte mitverantwortlich dafür sein, wie resilient ein Mensch später im Leben ist.
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