Wie das „männliche“ Gehirn entsteht

Die Gehirne von Männern und Frauen unterscheiden sich. Das ist ein biologischer Effekt, aber er bezieht sich natürlich nur auf die durchschnittliche Frau und den Durchschnitts-Mann. (Bildrechte: depositphotos/chachar)

Bruno Gegenhuber et al.: Gene regulation by gonadal hormone receptors underlies brain sex differences. Nature 606, 04.05.2022, S. 153-159.

Scherenschnitt-artige Zeichnung eines roten Frauenprofils und eines blauen Männerprofils. Statt der Gehirne haben beide ein Labyrinth im Kopf. Die Labyrinthe sind durch eine schwarze Linie verbunden..
Die Gehirne von Männern und Frauen unterscheiden sich. Das ist ein biologischer Effekt, aber er bezieht sich natürlich nur auf die durchschnittliche Frau und den Durchschnitts-Mann. (Bildrechte: depositphotos/chachar)

Männliche Säuger inklusive Menschen entwickeln ihre geschlechtstypischen Eigenschaften als Folge dreier verschiedener Schübe des Geschlechtshormons Testosteron. Während der Embryonalphase steigt es ein erstes Mal an, sinkt dann ab, um direkt nach der Geburt eine zweite steile hohe Welle zu bilden. Danach bleibt der Testosteronspiegel bis zur Pubertät auf niedrigem Niveau. Schon länger weiß man, dass der kurze Peak nach der Geburt Veränderungen im Gehirn auslöst, die für Männer typisch sind. Was dabei genau geschieht, hat jetzt ein Team um Bruno Gegenhuber von der Cold Spring Harbor University, USA, bei Mäusen untersucht.

Das Testosteron wird zunächst in das weibliche Geschlechtshormon Östradiol umgewandelt. Dieses bindet an Östrogen-Rezeptoren, die in großer Zahl auf den Nervenzellen dreier Gehirn-Region sitzen, darunter einer namens BNSTp (posteriorer Bed Nucleus Stria Terminalis). Diese Region spiele „eine zentrale Rolle bei der Regulierung von geschlechtstypischen Verhaltensweisen“, schreiben die Forscher*innen. Als Transkriptionsfaktor wandern die aktiven Rezeptoren zum Erbgut der Zellen und aktivieren oder hemmen eine Vielzahl von Genen. Infolgedessen wandelt sich auch das Epigenom der Zelle. So speichert sie die Information, welche DNA-Regionen auch dann noch besser oder schlechter abgelesen werden können, wenn der Testosteronschub längst abgeklungen ist.

Auf diesem Weg entstehen zwei typisch männliche Arten von Nervenzellen und die BNSTp-Region vergrößert sich. Betroffene Zellen zeigen ein dauerhaft verändertes Muster der Genaktivität, das aber durch Hormongabe reversibel ist. Spannend ist dabei nicht nur, wie gut die Epigenetik ihrer Rolle als „Gedächtnis der Zellen“ gerecht wird, sondern auch, dass die relevante biologische Information nicht im Hormon Östradiol selbst sitzt, das ja eigentlich als weibliches Hormon gilt, sondern in der plötzlichen Veränderung seiner Konzentration über die Zeit. 

Dieser Beitrag erschien in einer etwas ausführlicheren Version bereits im Online-Magazin Erbe&Umwelt bei riffreporter.de.