Vererben Säuger ein trainiertes Immunsystem?

Professor Mihai Netea und Professor Andreas Schlitzer, Universität Bonn
Mihai G. Netea, Radboud University Medical Center, Nijmegen und LIMES-Institut der Universität Bonn (links), sowie Andreas Schlitzer, ebenfalls LIMES-Institut (rechts), sind maßgeblich an der Studie beteiligt. (Bildrechte: Prof. Netea / Universität Bonn)

Natalie Katzmarski et al: Transmission of trained immunity and heterologous resistance to infections across generations. Nature Immunology 22, 18.10.2021, S. 1382-1390.

Eva Kaufmann et al: Lack of evidence for intergenerational inheritance of immune resistance to infections. Nature Immunology 23, 20.01.2022, S. 203-207.

Reply von Natalie Katzmarski et al: Nature Immunology 23, 20. 01.2022, S. 208-209.

Mihai G. Netea, Radboud University Medical Center, Nijmegen und LIMES-Institut der Universität Bonn (links), sowie Andreas Schlitzer, ebenfalls LIMES-Institut (rechts), sind maßgeblich an der Studie beteiligt. (Bildrechte: Prof. Netea / Universität Bonn)

Schon vor Jahren gab es Hinweise aus Kirchenbüchern der kanadischen Provinz Québec des frühen 18. Jahrhunderts, dass Menschen, die während einer Epidemie gezeugt wurden, in späteren Epidemien besser geschützt sind. Das galt sogar, obwohl einer Masern-Epidemie eine Pocken-Epidemie folgte (s. Newsletter Epigenetik 02/2014).

Jetzt zeigte ein europäisches Team von Epigenetiker*innen um Mihai Netea aus Nijmegen und Bonn mit Experimenten an Mäusen, dass dafür die epigenetische Vererbung von Komponenten des unspezifischen Immunsystems verantwortlich gewesen sein könnte. Dieses System wirkt anders als Gedächtniszellen oder Antikörper gegen verschiedene Erreger. Ließe sich diese Erkenntnis auf Infektionen durch Coronaviren übertragen, hätte die aktuelle Pandemie für manche Menschen vielleicht sogar etwas Positives.

Die Forscher*innen infizierten sechs Wochen alte männliche Mäuse mit dem Pilz Candida. Es ist bekannt, dass sich daraufhin die Epigenetik von Zellen der unspezifischen Immunabwehr so verändert, dass den Tieren eine spätere Bakterieninfektion, etwa mit dem Erreger Escherichia coli, weniger als sonst anhaben kann. Im nächsten Schritt untersuchten die Forscher*innen, ob das auch für die Nachkommen gilt. Deshalb verpaarten sie die Mäuse einen Monat nach dem Pilzbefall und infizierten erst Vertreter aus einer der folgenden Generationen mit den Bakterien. Tatsächlich wurden diese weniger krank als Mäuse einer Vergleichsgruppe. „Abkömmlinge der männlichen Mäuse, die zuvor Candida ausgesetzt waren, waren deutlich besser vor einer nachfolgenden Escherichia coli-Infektion geschützt als die Nachkommen der nichtinfizierten Mäuse“, fasst Netea zusammen.

Weitere Experimente bestätigten den Effekt. So zeigte sich, dass bestimmte Gene, deren Produkte bei der unspezifischen Immunabwehr eine Rolle spielen, wegen epigenetischer Veränderungen anders reguliert waren. Das wurde sogar noch eine Generation weiter vererbt und verschwand erst bei den Urenkeln der infizierten Tiere. Deshalb schauten die Epigenetiker*innen auf die Spermien der Tiere: „Hier war eine Verschiebung der Genmarkierungen erkennbar“, sagt Jörn Walter, an der Studie beteiligter Epigenetiker und Mitherausgeber dieses Newsletters.

Kolleg*innen um Eva Kaufmann, McGill University Montreal, konnten die Resultate allerdings nicht bestätigen und veröffentlichten ihre Zweifel ebenfalls im Fachblatt Nature Immunology. Netea und Kolleg*innen reagierten mit einer Replik. Noch bleibt abzuwarten, welche der Gruppen Recht behalten wird. 

Schützen Krankheiten wie Corona zukünftige Generationen vor Infekten?
Lesen Sie den ausführlichen Hintergrund-Artikel
im
Online-Magazin Erbe&Umwelt bei RiffReporter:
www.riffreporter.de/de/wissen/pandemie-infektion-schutz-wird-epigenetisch-vererbt-immunsystem