Radiobeitrag über Epigenetik und Homosexualität

Volkart Wildermuth: Neues zur gleichgeschlechtlichen Liebe. Deutschlandfunk, 16.05.2016.

Die Theorie, dass die sexuelle Orientierung in einer sehr frühen Phase der Embryonalentwicklung epigenetisch kanalisiert wird, ist mittlerweile gut drei Jahre alt (Newsletter Epigenetik 01/2013: Hat Homosexualität epigenetische Ursache?). Bis heute erregt sie großes Aufsehen, vor allem weil die Evolutionsbiologen um Sergey Gavrilets, mit ihrer Hilfe eine neue Erklärung für die biologische Entstehung von Homo- und Bisexualität lieferten. Danach verschiebt es die sexuelle Orientierung in Richtung Homosexualität, wenn jemand epigenetische Markierungen des gegengeschlechtlichen Elternteils erbt. Solche Markierungen werden in der Regel während der Keimzellbildung gelöscht und nach der Befruchtung in Abhängigkeit vom Geschlecht neu gesetzt. Allerdings konnten die Ideen bis heute nur in einer sehr kleinen, umstrittenen Studie des amerikanischen Humangenetikers Tuck Ngun bestätigt werden (Newsletter Epigenetik 03/2015: Epigenetischer Marker für Homosexualität). Jetzt widmete der Deutschlandfunk dem Thema einen ausführlichen, empfehlenswerten Beitrag.

Urban Friberg von der Universität im schwedischen Linköping und einer der Autoren der ursprünglichen Theorie erinnert sich, wie er sich einst fragte, woher die Zellen eines Embryos überhaupt wüssten, ob sie sich in Richtung weiblich oder männlich entwickeln sollten. „Deshalb schlugen wir vor, dass die sexuelle Entwicklung durch epigenetische Effekte stabilisiert wird.“ Und Tuck Ngun, der über das Thema promovierte und nie geahnt hätte, welch Medienecho seine Resultate auslösen würden, räumt ein, dass er die Theorie schlicht sehr plausibel fand: „Bei der Epigenetik ist es so, dass kleine Unterschiede der Umwelt im Mutterleib zu Unterschieden in der Steuerung der Gene führen können und später im Leben zu Unterschieden im Verhalten. Egal, ob es sich dabei um Homosexualität oder etwas anderes handelt.“

Interessant auch Fribergs Statement zu Nguns Daten: „Diese Studie belegt, dass die Epigenetik an der Homosexualität beteiligt ist. Aber es ist noch zu früh zu sagen, ob Nguns  Befunde wirklich zu unserem Modell passen, oder ob es noch andere epigenetische Mechanismen gibt.“