Liebe Leser*innen,
es ist jetzt 15 Jahre her, dass ich im Büro des Epigenetikers Bernhard Horsthemke an der Universität Duisburg-Essen saß. Er ließ sich viel Zeit, mir die Welt dieser faszinierenden neuen Wissenschaft zu erklären. Wenig später besuchte ich seinen Kollegen Renato Paro in Basel. Viele Informationen aus diesen und ähnlichen Gesprächen mit anderen Expert*innen sind in mein 2009 erschienenes Buch Der zweite Code eingeflossen. Hängen geblieben ist bis heute die von Horsthemke wie Paro geäußerte Idee, dass es eine wichtige Aufgabe epigenetischer Strukturen ist, Zustände einer Zelle, die als Reaktion auf äußere Signale zu einem geänderten Muster der Genaktivität geführt haben, auch dann noch festzuhalten, wenn diese Einflüsse verschwunden sind.
In dieser Ausgabe des Newsletter Epigenetik zitiere ich Horsthemke aus einem aktuellen Artikel mit einem Satz, der genau diese Sicht perfekt zusammenfasst: „Somit spiegeln Veränderungen in den Chromatinmodifikationen eher Veränderungen in der Genexpression wider, als dass sie diese verursachen.“ Damit möchte er sich wehren gegen die viel zu oft geäußerte Sicht von der Epigenetik als direktem Regulator der Genaktivität. Dafür seien Transkriptionsfaktoren und Enhancer zuständig, nicht aber die Epigenetik.
Diese Vereinfachung führe zwangsläufig zu den popularisierenden und missverständlichen Ansätzen, man könne seine Gene direkt mit Hilfe der Epigenetik kontrollieren und diese Einflüsse ließen sich dann auch noch an Nachkommen vererben. Aus dem gleichen Grund schlägt Horsthemke vor, die Epigenetik solle sich auf die ursprüngliche Definition ihres Pioniers Adrian Bird zurückbesinnen: Sie sei „die strukturelle Anpassung von Chromosomenbereichen, um veränderte Aktivitätszustände zu registrieren, zu signalisieren oder aufrechtzuerhalten“.
Für mich ist das eine gute Gelegenheit an die Debatte über die Definition der Epigenetik zu erinnern, die in diesem Magazin vor einigen Jahren stattgefunden hatte (s. Newsletter Epigenetik 01/2015 und 04/2014). Es wäre super, wenn sie nun aufleben würde, denn das Thema ist wichtig. Das Wort Epigenetik wird immer mehr popularisiert, die Esoterik- und Coaching-Szene stürzen sich auf den fast schon ungeschützten Begriff und nutzen fehlende Sachkenntnis ihrer Kundschaft aus. Eine saubere Definition würde es erleichtern, hier eine Grenze zu ziehen. Ich freue mich deshalb über E-Mails mit kreativen Vorschlägen und stelle die verschiedenen alten wie neuen Definitionen gerne in der kommenden Ausgabe vor.
Selbstverständlich hat die 36. Ausgabe des Newsletter Epigenetik noch sehr viel mehr zu bieten. Wie immer hoffe ich, eine spannende Mischung zusammengetragen zu haben. Schreiben Sie mir gerne, was ihnen gut und was Ihnen weniger gut gefällt. Damit es allerdings auch in Zukunft neue Ausgaben geben kann, benötige ich nach wie vor Ihre Unterstützung, am besten per Einmalzahlung oder Abonnement bei meinem RiffReporter-Magazin Erbe&Umwelt: www.riffreporter.de/de/magazine/genetik-umwelt.
Herzliche Grüße, Ihr Peter Spork
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