Seit zwei Ausgaben regt der Autor dieses Newsletters eine Diskussion über die passendste Definition der Epigenetik an. Versionen von Thomas Jenuwein, Michael Skinner und Andreas Plagemann wurden vorgestellt. Unter dem Stichwort „Definition“ lassen sich die Beiträge auf der Website Newsletter-Epigenetik.de nachverfolgen. Jetzt meldete sich der österreichische Philosoph Günther Witzany zu Wort. Er beschäftigt sich schon lange mit einer Theorie zur kommunikativen Natur, die er Biokommunikation nennt. Dass er die Epigenetik äußerst spannend findet, versteht sich von selbst. Hier sein Beitrag, für den wir uns bedanken, im Wortlaut:
Epigenetik: Unterschiedliche „Betonungen“ ermöglichen unterschiedliche Bedeutungen
Von Günther Witzany, www.biocommunication.at
Im Unterschied zu mechanistischen und molekularbiologischen Definitionen der Epigenetik folgt die Theorie der Biokommunikation dem Vorschlag Manfred Eigens, den genetischen Code als natürliche Sprache zu begreifen. Natürliche Sprachen sprechen sich nicht selbst, sondern sind das Ergebnis konkreten Informationsaustausches zwischen kompetenten Interaktionsteilnehmern zum Zwecke der Koordination und Organisation. Was Manfred Eigen jedoch nicht beachtete ist, dass die Bedeutung der Informationssequenzen dementsprechend nicht von der Buchstabenabfolge abhängt, sondern vom Kontext der Verwendung, d.h. ein und dieselbe Zeichensequenz kann in unterschiedlichen Kontexten etwas anderes, und im Extremfall, sich widersprechende Bedeutung haben. Auf den genetischen Code angewendet heißt das, dass die DNA-Sequenz durch Umwelteinflüsse oder „prägende“ Erlebnisse von Einzelindividuen oder Populationen „markiert“ und so variable Bedeutungen (Funktionen, Proteinkodierungen) annehmen kann, ohne dass sich die DNA-Sequenz ändern muss. Das spart auch Energie – Organismen brauchen nicht für jede Funktion eine eigene Codierung, sondern bestehende DNA kann variabel „betont“ werden um damit unterschiedliche Funktionen zu erfüllen.
Epigenetik ermöglicht Organismen ihrem natürlichen genetischen Code, durch unterschiedliche „Betonungen“ unterschiedliche Bedeutungen/Funktionen zu verleihen, um sich an verändernde Umweltbedingungen oder Erfahrungen entsprechend anzupassen.
Phylogenetisch passt diese Eigenschaft epigenetischer Markierungen in die „virus-first“ Hypothese, nach der Viren unmittelbare Ergebnisse der frühen, vor-zellulären RNA Welt waren. Alle Viren markieren ihre Genome um „selbst“ von „nicht-selbst“ unterscheiden zu können. So wie jede Zelle seit Beginn zellulären Lebens von sesshaften Viren besiedelt wurde, und ihre Überbleibsel heute weitgehend das gesamte Netzwerk der nicht-kodierenden RNAs ausmachen, die für die Regulation von Genen zuständig sind, so wurde auch die epigenetische Markierung durch virale Kompetenzen dem zelluläre Leben als Anpassungswerkzeug mitgegeben.
Abbildung: Der Kontext entscheidet, wie abgelesen wird, das heißt welche Bedeutung aktuell der genetischen Information zukommt. Auch „The shooting of the hunters“ hat eine klare Syntax. Die Pragmatik kann aber durchaus gegensätzliche Bedeutungen haben. Genau dieses Prinzip sieht Witzany in der Epigenetik realisiert. (Bildrechte: Witzany, G. and Baluška, F., EMBO Reports 2012,13:1054–1056)
Literatur:
Villarreal LP, Witzany G. (2013) The DNA Habitat and its RNA Inhabitants. Genomics Insights 6: 1-12
Witzany G (2014). RNA Sociology: Group Behavioral Motifs of RNA Consortia Life (Basel) 4: 800-818.