Befruchtete Eizellen sind pluripotent. Nur deshalb kann sich aus ihnen ein komplexer Mensch mit seinen rund 200 verschiedenen Gewebetypen entwickeln. Wenn die Zellen ausdifferenzieren, verstellen sich zahlreiche epigenetische Schalter. Jede Zelle erhält so ihr typisches Epigenom. Damit sich der ganze Vorgang in der nächsten Generation wiederholen kann, müssen neue Keimzellen aber epigenetisch in den Urzustand zurückversetzt werden. Deshalb finden zwei große epigenetische Reprogrammierungen statt: Zunächst bei der Bildung der Vorläufer zukünftiger Keimzellen, und dann direkt nach der Befruchtung.
Jetzt haben Forscher aus Großbritannien die epigenetischen Vorgänge während der Entstehung menschlicher Keimzell-Vorläufer eingehend untersucht und überraschenderweise festgestellt, dass dabei gar nicht alle DNA-Methylierungen gelöscht werden. Das könnte erklären, warum epigenetisch fixierte Umweltanpassungen gelegentlich an folgende Generationen weitergegeben werden – ein Phänomen namens transgenerationelle epigenetische Vererbung, dessen Existenz beim Menschen noch immer umstritten ist.
Eher für Fachleute interessant ist, dass die aktive Reprogrammierung der menschlichen Keimzell-Vorläufer einem anderen genetischen Programm folgt als bei Mäusen, wo der Vorgang schon besser untersucht ist. Die Abläufe sind aber ähnlich: So genannte TET-Enzyme sorgen für die aktive Demethylierung (siehe Newsletter Epigenetik 4/2011). Außerdem wird der Histon-Code, also der Chromatin genannte DNA-Protein-Komplex, neu organisiert, bei Frauen wird das eine X-Chromosom, das einst komplett stumm geschaltet wurde, wieder aktiviert und die so genannten Imprinting-Markierungen, bei denen Väter und Mütter an unterschiedlichen Stellen geschlechtsspezifisch Gene abgeschaltet hatten, werden komplett gelöscht.
Das auch für Laien spannendste Resultat ist jedoch die Beobachtung, dass einige wenige DNA-Methylierungen systematisch verschont bleiben. Betroffen sind evolutionsbiologisch gesehen vor nicht allzu langer Zeit von Viren eingeschleuste Gene. Diese so genannten Retrotransposons können gefährlich werden, weshalb es Sinn macht, sie abgeschaltet zu lassen. Doch auch eine Reihe anderer Gene bleiben methyliert, und unter diesen sind viele, die später im Gehirn aktiv werden. Die Forscher vermuten deshalb, diese so genannten „Flüchtlinge” könnten eine Rolle bei neurologischen Störungen und Stoffwechselkrankheiten spielen. Das passt zu der Diskussion, dass gerade das Risiko für solche Leiden, etwa Depressionen oder Diabetes, durch die transgenerationelle epigenetische Vererbung beeinflusst wird. Die epigenetische Reprogrammierung der Keimzell-Vorläufer sei „offensichtlich die größte Barriere für die epigenetische Vererbung bei Säugetieren“, schreiben die Forscher. „Die Existenz von Flüchtlingen, die nicht reprogrammiert werden, ebnet einen wichtigen neuen Weg für die Erforschung der epigenetischen Vererbung bei Menschen.“