Komplexe Merkmale wie Körpergröße, Hautfarbe, Intelligenz oder das Verhalten sind Folge des Zusammenspiels der Umwelt mit meist sehr vielen Genen. Die Epigenetik übernimmt dabei die Mittlerrolle zwischen beiden Polen, indem sie als Reaktion auf Umwelteinflüsse bleibende Veränderungen der Genregulation auslöst. Wie das genau funktioniert, ist bislang aber kaum untersucht. Kastenbildende Insekten wie zum Beispiel Ameisen gelten als gutes Modellsystem, um diese Wissenslücke zu schließen (siehe Newsletter Epigenetik 03/2010). Alle Vetreter eines Ameisenstaates sind nämlich genetisch identisch, körperlich und epigenetisch aber je nach Kastenzugehörigkeit völlig verschieden.
Jetzt gelang es Epigenetikern aus Kanada und den USA gezielt durch eine Veränderung der Epigenome von Ameisen deren Körpergröße zu variieren. Sie manipulierten den Grad der Methylierung an einem einzigen Gen, dem Egfr-Gen. Dieses kodiert Rezeptoren für ein Protein, das das Körperwachstum steuert (Epidermaler Wachstumsfaktor). Je mehr Methylgruppen an das Gen angelagert waren, desto größer wurden die Ameisen.
Offenbar hat die Epimutation an dem einzelnen Gen Einfluss auf die Regulation vieler anderer Gene, die alle das Wachstum der Tiere verändern. Die Forscher spekulieren, dass ähnliche Prinzipien auch dem Einfluss der Umwelt auf komplexe Merkmale des Menschen zugrunde liegen. „Diese Entdeckung verändert vollständig unser Verständnis, wie menschliche Variabilität zustande kommt“, sagt Ehab Abouheif, Ko-Autor der Studie von der McGill University in Montréal in einer Pressemitteilung.
Foto: Durch Manipulation der Epigenetik an einem Gen erhielten die Forscher ein ganzes Spektrum verschieden großer Arbeiterinnen der Ameisen-Art Camponatus floridanus (Bildrechte: Mélanie Couture und Dominic Quellette).