Epigenetik des Krieges: Werden Traumafolgen vererbt?

Geflüchtete Kinder in einem Lager in Idlib, Syrien. Sollten sie im Krieg Gewalterfahrungen gemacht haben, zeigt sich das vielleicht sogar in ihrer Epigenetik. (Bildrechte: depositphotos / ikurucan)

Demelza Smeeth et al.: War exposure and DNA methylation in Syrian refugee children and adolescents. JAMA Psychiatry 82, 01.02.2025, S. 191-200.

Connie J. Mulligan et al. : Epigenetic signatures of intergenerational exposure to violence in three generations of Syrian refugees. Scientific Reports 15, 27.02.205, 5945.

Abermillionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg. Viele von ihnen mussten schreckliche Gewalt erleben. Gerade Kinder und Jugendliche sind oft traumatisiert. Doch welche Spuren hinterlassen Kriegserfahrungen in der Molekularbiologie betroffener Personen? Zwei Studien liefern jetzt spannende neue Erkenntnisse: Kriegstraumata scheinen das epigenetische Gedächtnis der Zellen zu verändern – und vielleicht werden diese Informationen sogar an folgende Generationen vererbt.

Ein Team um die britische Biopsychologin Demelza Smeeth analysierte Speichelproben von etwa 1500 Kindern und Jugendlichen, die vor dem Krieg in Syrien geflohen waren. Je nachdem, ob die Personen zuvor kriegstypische Gewalt miterleben mussten oder nicht, fanden sich an den Genen der Mundschleimhautzellen systematische epigenetische Unterschiede.

Insgesamt war die Methylierung nach den Kriegserlebnissen erhöht. Manche Gene waren sogar umso stärker methyliert, je mehr Gewalterfahrungen eine Person gemacht hatte. Das ist zwar kein Beleg dafür, dass Kriegstraumata die Epigenetik direkt verändern, aber es scheint auf jeden Fall ein Zusammenhang zu den vergangenen Erlebnissen zu bestehen.

Was diese Studie nicht beantworten kann, ist die Frage, ob die epigenetischen Folgen traumatischer Kriegserlebnisse auch an Kinder und Enkelkinder weitergegeben werden. Aus Tierversuchen gibt es Hinweise, dass dieses geschieht. Und auch bei Menschen zeigte im Jahr 2017 eine Studie mit Menschen aus Brasilien, dass Kinder epigenetisch auffällig sind, wenn ihre Großmutter mütterlicherseits während der Schwangerschaft mit der Mutter heftige Gewalterfahrungen machen musste.

Genau diese Ergebnisse konnten Forschende jetzt bei syrischen Kriegsopfern reproduzieren. Connie Mulligan aus Florida, USA, und Kollegïnnen schauten sich die Epigenome von 131 Mitgliedern aus 48 syrischen Füchtlingsfamilien an.

Auch in dieser Studie erfolgte eine akribische Auswertung des Musters der Methylierungen an der DNA der Mundschleimhautzellen, die in Speichelproben enthalten waren. Dabei zeigte sich, dass nicht nur das direkt erlebte Trauma die Epigenetik verändert hatte, sondern auf recht ähnliche, aber etwas abgeschwächte Weise auch das mehr oder weniger indirekt miterlebte Trauma, das die Mutter oder die Großmutter durchmachen musste.

Scheinbar waren manche der Traumafolgen im Mutterleib an die Tochter übertragen worden und hatten dort ebenfalls zu epigenetischen Veränderungen geführt. Doch nicht nur das: Auch die Eizellen, die in den Müttern schon vor deren eigener Geburt angelegt worden waren, hat der traumatisierende Stress der Großmutter vermutlich irgendwie erreicht.

So gelangte die Information bis in die Enkelïnnengeneration – ein Prozess, den Fachleute intergenerationelle epigenetische Vererbung nennen. Spannend wird nun, ob eines Tages auch die Urenkel betroffen sein werden. Dann könnte man von einer echten transgenerationellen epigenetischen Vererbung sprechen, weil die epigenetische Information über die Folgen des Traumas mindestens einmal ausschließlich von der Keimzelle einer Generation auf die Keimzelle der nächsten Generation übertragen worden wäre.

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