Was ein internationales Team um den Alterungsforscher David Sinclair, aus Harvard, USA, im Fachblatt Nature publizierte ist eine wissenschaftliche Sensation: „Wir zeigen hier, dass es möglich ist, ohne Nebenwirkungen das Alter eines komplexen Gewebes im lebenden Organismus zurückzusetzen und damit seine verloren gegangene biologische Funktion wiederherzustellen“, schreiben die Forscher*innen. Andrew Huberman von der Stanford University sieht es im Begleitkommentar ähnlich: Auf einmal sei denkbar, erblindeten Menschen das Augenlicht zurückzuschenken sowie Zellen aller Art epigenetisch zu verjüngen. „Für Jahrzehnte hatte man auf neue Werkzeuge gehofft, mit denen sich das gealterte oder geschädigte Gehirn reparieren lässt“, schreibt der Neurobiologe. Die neue Studie zeige nun: „Wir sind in dieser Ära angekommen.“
Doch worum geht es genau? Die Forscher*innen verjüngten Zellen des Sehnervs alter blinder Mäuse und machten sie damit wieder sehend. Mit einem molekularbiologischen Trick programmierte Sinclairs Team die Umgebung der DNA in beschädigten, so genannten retinalen Ganglionzellen um. Die Epigenetik der Zellen war danach wie jene junger Zellen. So kehrte ihre Fähigkeit zurück, den Schaden aus eigener Kraft zu reparieren.
Das erfolgreiche Experiment – am vollständigen, komplexen Tier und nicht in irgendeinem Reagenzglas mit kultivierten Zellen durchgeführt – ist also eine Art Verjüngungskur für Seh-Zellen lebendiger Mäuse. Doch vielleicht ist es sogar sehr viel mehr? Es könnte den Weg bereiten zu einer allgemeingültigen Methode, die biologische Uhr höherer Lebewesen gezielt zurückzudrehen. Damit könnten Alterungsprozesse rückgängig gemacht werden. Vielleicht gelänge das Gleiche dann sogar beim Menschen? Und es funktionierte sogar in anderen Geweben und Organen?
Sinclair und Kolleg*innen benutzten harmlose Viren als Transporter, um die Gene dreier so genannter Yamanaka-Faktoren, Oct4, Sox2 und Klf4 ins Erbgut der verletzten Zellen einzuschleusen. Mit vieren dieser Faktoren hatte der Japaner Shinya Yamanaka einst Körperzellen von Mäusen zu Stammzellen zurückprogrammiert, wofür er im Jahr 2012 den Nobelpreis erhielt. Im aktuellen Experiment war die Umgebung der Gene so konstruiert, dass die Zellen diese immer nur dann ablesen konnten, wenn den Mäusen eine bestimmte Substanz in das Trinkwasser gegeben wurde. So konnten die Forscher*innen den Einsatz der Gene steuern und zeitlich exakt begrenzen.
Bei rund 40 Prozent der Zellen war das Verfahren erfolgreich. Diese änderten schon fünf Tage nachdem die eingeschleusten Gene angeschaltet blieben, das Muster, in dem viele andere ihrer Gene aktiv waren. Infolgedessen begannen sie, sich zu verjüngen. Mit fortschreitender Behandlungszeit wandelte sich ihre Epigenetik zurück, und sie starteten die Reparatur der Schäden. Weil die Gene aber immer nur kurzzeitig aktiv waren, gab es keine bösartigen Entartungen oder andere Nebenwirkungen. Die Zellen wurden nur ein Stück weit verjüngt. Sie wurden nicht reprogrammiert, sondern behielten ihre Identität.
Nebenbei liefert das Experiment auch einen deutlichen Hinweis, dass die so genannte epigenetische Uhr, über die im Newsletter Epigenetik schon häufig berichtet wurde (siehe u.a. Newsletter Epigenetik 32: Was epigenetische Uhren können), tatsächlich das Altern von Zellen zu kontrollieren scheint, und das man sie gezielt zurückdrehen kann.
Anti-Aging-Epigenetik: Zurück auf Jung heißt ein ausführlicher Hintergrund-Artikel zum Thema, den Sie im online-Magazin Erbe&Umwelt bei RiffReporter.de lesen können.