Multiple Sklerose bei Zwillingen

Nicole Y. Souren et al.: DNA methylation signatures of monozygotic twins clinically discordant for multiple sclerosis. Nature Communications, 07.05.2019, doi: 10.1038/s41467-019-09984-3.

Ein deutsches Forscherteam hat sich auf die mühsame Suche nach epigenetischen Auffälligkeiten bei Menschen mit Multipler Sklerose (MS) gemacht. Bei dieser Autoimmunkrankheit löst die körpereigene Krankheitsabwehr scheinbar grundlos Entzündungen in so genannten Myelinzellen aus, die viele Nerven mit einer Art Schutz- und Isolierschicht umgeben. Dass neben bestimmten geerbten Genvarianten auch verschiedenste Umwelteinflüsse und damit wohl auch die Epigenetik bei der Entstehung der tückischen Krankheit eine wichtige Rolle spielen, liegt auf der Hand. Paare von eineiigen Zwillingen erkranken nämlich nur in maximal einem Viertel der Fälle gemeinsam.

In früheren Studien hatten Epigenetiker zwar bereits einige Unterschiede im epigenetisch wichtigen Methylierungsmuster der DNA zwischen Menschen gefunden, je nachdem, ob diese MS hatten oder nicht. Die Probanden unterschieden sich aber auch genetisch, so dass die epigenetischen Auffälligkeiten auch eine Folge der genetischen Unterschiede sein konnten und nicht etwa das Produkt eines die Krankheit begleitenden oder gar auslösenden äußeren Impulses. Für die neue Studie wurden deshalb eineiige Zwillinge ausgewählt, von denen einer an MS erkrankt war und der andere nicht. 45 solcher Paare stellten den Forschern Blutproben für eine Analyse zur Verfügung. Damit ist diese Studie die bislang größte ihrer Art.

Die Resultate wurden von Erstautorin Nicole Souren unter Federführung von Jörn Walter, beide von der Universität des Saarlands in Saarbrücken sowie Reinhard Hohlfeld von der Ludwig Maximilians Universität München unter Mithilfe unter anderem von Christoph Plass vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg – wie Walter Mitherausgeber dieses Newsletters – gewissenhaft zu Tage geförderten und mit verschiedenen Methoden bestätigt. Sie sind deshalb besonders aussagekräftig und setzen auch nach Einschätzung unbeteiligter Kolleg*innen neue Standards für die zukünftige Erforschung der Epigenetik bei MS.

Zunächst stellten die Forscher fest, dass sich die eineiigen Zwillinge epigenetisch erstaunlich ähnlich sind. Doch an immerhin sieben Stellen der DNA fanden sich über alle 45 Zwillingspaare hinweg systematische Unterschiede. An 45 weiteren Stellen unterscheiden sich zumindest einzelne der Paare epigenetisch deutlich voneinander.

Zwei der sieben wichtigsten Stellen heben die Forscher besonders hervor: Die eine betrifft ein Gen (TMEM323), von dem man weiß, dass es für Immunzellen wichtig sein kann. Zudem existiert diese epigenetische Besonderheit sogar bei Menschen, die bereits sehr lange an MS erkrankt sind. Und es lässt sich ausschließen, dass sie eine Folge der gegen die Krankheit gerichteten medikamentösen Therapie ist. Folglich ist es denkbar, dass es einst ein die Krankheit begünstigender Umweltimpuls war, etwa eine Infektion mit Epstein-Barr-Viren, Nikotinkonsum oder ein Vitamin-D-Mangel, der die Epigenetik der Immunzellen an dieser Stelle veränderte. Bei der zweiten epigenetischen Besonderheit ist es umgekehrt. Sie betrifft nur Patienten, die bereits mit Medikamenten wie Cortison behandelt wurden, und ist deshalb sehr wahrscheinlich eine Folge dieser Therapie.

Beide neu entdeckten epigenetischen Marker könnten das Verständnis, die Diagnose und die Behandlung von MS voranbringen, hofft das Forscherteam:  Immerhin habe man „erstmals einen Zusammenhang zwischen epigenetischen Mustern, Krankheit und Therapie“ gefunden.