„Die Epigenetik wird endlich erwachsen“

Giacomo Cavalli & Edith Heard: Advances in epigenetics link genetics to the environment and disease. Nature 571, 25.07.2019, S. 489-499.

Das führende Forschungsmagazin Nature feiert sein 150-jähriges Bestehen derzeit mit einer Serie von Übersichtsartikeln zu den wichtigsten Forschungsgebieten unserer Zeit. Da darf natürlich die Epigenetik nicht fehlen. Giacomo Cavalli aus Montpellier, Frankreich, und Edith Heard, seit kurzem in Heidelberg (siehe Personalien), durften sich dieses Themas annehmen und liefern einen äußerst lesenswerten, frei im Internet verfügbaren Artikel. Hervorzuheben ist daraus eine neue, elegante Definition der Epigenetik als „das Studium von Molekülen und Mechanismen, die bei gleichbleibender DNA-Sequenz alternative Zustände der Genaktivität aufrechterhalten können“. („The study of molecules and mechanisms that can perpetuate alternative gene activity states in the context of the same DNA sequence.“)

Über einige Anmerkungen von Cavalli und Heard freue ich – der Autor dieses Newsletters – mich besonders. So urteilen die beiden, der Umstand, dass andere Moleküle als die DNA einen substanziellen Beitrag zur vererbten Information leisten, sei „eine wichtige konzeptuelle Veränderung der Evolutionsbiologie.“ Auch ich fordere im Buch „Gesundheit ist kein Zufall“ eine „neue Biologie der Vererbung“. Oder: Das Erscheinungsbild eines Organismus, sein Phänotyp, hänge ab von „einer spezifischen Kombination aus genetischer Zusammensetzung, epigenetischen Komponenten und Umwelteinflüssen“. Das gleiche drücke ich mit dem immer wieder betonten untrennbaren Dreiklang aus „Erbe, Umwelt und Vergangenheit“ aus. (Siehe meinen gleichnamigen Text bei Riffreporter.de: www.riffreporter.de/erbe-umwelt-peter-spork/riff_bucherbe-umwelt-vergangenheit-peter-spork/).

Wer sich für die zahlreichen Fortschritte auf dem Gebiet seit dessen Namensgebung durch Conrad Waddington im Jahr 1942 interessiert, wird in dem Übersichtsartikel auf jeden Fall fündig. Besonders spannend sind aber die Passagen, die das Gebiet und seine Bedeutung einordnen. Epigenetische Mechanismen seien in der Biologie so wichtig, weil sie beides könnten: permanente Umwelteinflüsse dämpfen und gleichzeitig auf die extremsten Ereignisse reagieren. Sie bilden damit eine Art Bindeglied zwischen den sehr raschen physiologischen Reaktionen und der extrem langsamen Darwin‘schen Evolution.  Kritisch sehen Cavalli und Heard deshalb auch das populäre Verständnis, die Epigenetik befreie uns von einem „DNA-geprägten Schicksal“. Epigenetik und Genetik wirkten nun mal gemeinsam und untrennbar voneinander. Weder seien die Gene in aller Regel unser Schicksal, noch könne uns die Epigenetik von den Genen oder diesem Schicksal befreien. Epigenetische Mechanismen setzen nur an dem DNA-Code an, den wir von unseren Eltern geerbt haben. Einen anderen besitzen wir nicht.

Auf jeden Fall wird die Epigenetik laut Cavalli und Heard „endlich erwachsen“. Viele der neu untersuchten Mechanismen trügen zu biologischen Prozessen wie dem Altern und dem Erkranken bei. Man könne diese Beiträge inzwischen immer öfter messen und mit zunehmender Genauigkeit sogar beeinflussen. Und das Beste dabei sei: Epigenetische Veränderungen sind leichter rückgängig zu machen, als Mutationen der DNA.