Entwicklungsstörungen wie ADHS oder Autismus werden immer häufiger. Die Ursachen liegen aber noch weitgehend im Dunkeln. Nun kommt die generationsüberschreitende Epigenetik als Faktor ins Spiel. Außerdem könnte der zunehmende Gebrauch hormonaktiver Umweltchemikalien eine Teilschuld haben. Wurden Frauen, die vor vielen Jahren mit Töchtern schwanger waren, hormonaktive Medikamente verabreicht, scheint das nämlich bereits die zeitgleich heranreifenden Eizellen der Töchter epigenetisch so verändert zu haben, dass sich das ADHS-Risiko der daraus eines Tages entstehenden Enkelgeneration leicht erhöht. Zu diesem Schluss kommen Forscher aus den USA nach der Auswertung der Angaben von 47.540 Teilnehmerinnen der bekannten Nurses Health Study.
In 861 Fällen hatten die Mütter der befragten Krankenschwestern gegen Schwangerschaftskomplikationen das inzwischen verbotene Mittel Diethylstilbestrol genommen. Bei den Kindern dieser Krankenschwestern liegt der Anteil der ADHS-Fälle um 36 Prozent höher als in der anderen Gruppe. Unabhängig vom Geschlecht sind 7,7 statt 5,5 Prozent der Kinder betroffen. Wurde das Mittel bereits im ersten Trimester eingenommen, beträgt der Anteil der betroffenen Kinder absolut gesehen sogar knapp 9 Prozent, er liegt also 63 Prozent über dem Vergleichswert.
Die Forscher raten nun insgesamt zur Vorsicht im Umgang mit den vielen verschiedenen Formen der auch als endokrine Disruptoren bezeichneten hormonaktiven Substanzen. Nicht nur als Medikamente, auch als Umweltchemikalien – etwa als Plastikinhaltsstoff Bisphenol A – könnten sie über mehrere Generationen wirkende epigenetische Veränderungen auslösen, die das Risiko für Entwicklungsstörungen aller Art erhöhten. Als Umweltchemikalie seien sie zwar viel weniger wirksam und auch sehr viel geringer konzentriert, aber sie seien allgegenwärtig. Und dass Vertreter der Substanzklasse zumindest theoretisch über bis zu fünf Generationen anhaltende Veränderungen der Genregulation induzieren können, wisse man bereits aus mehreren Experimenten mit Mäusen.