Ratten vererben Suchtverhalten

Qiumin Le et al.: Drug-seeking motivation level in male rats determines offspring susceptibility or resistance to cocaine-seeking behaviour. Nature Communications, 30.05.2017, doi: 10.1038/ncomms15527.

In den vergangenen Jahren fanden Epigenetiker zunehmend experimentelle Hinweise darauf, dass auch Tiere ähnlich wie Pflanzen einen Teil ihrer epigenetisch geprägten Umweltanpassungen über die Keimbahn an Nachkommen vererben. Nicht zuletzt, weil damit auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragbarkeit der Resultate auf den Menschen steigt, erregt das Forschungsgebiet der transgenerationellen epigenetischen Vererbung immer mehr Aufmerksamkeit (siehe auch Newsletter Epigenetik 02/2017: Und es vererbt sich doch!). Nun kamen spannende neue Ergebnisse hinzu. Das Team um Lan Ma aus China untersuchte männliche Ratten, die aufgrund nichtgenetischer Unterschiede entweder besonders süchtig waren oder nur wenig Drang zum Drogenkonsum hatten.

Jene Tiere, die es stark zu Kokain zog, vererbten die erst im Leben erworbene Neigung an ihre Kinder und gaben sie selbst dann, wenn diese niemals mit Kokain in Kontakt gekommen waren, weiter an ihre Enkel. Maßgeblich für die hohe Anziehungskraft, die das Kokain auf Väter, Kinder und Enkel ausübte, schienen epigenetische Strukturen zu sein, die an und neben den Genen involvierter Zellen sitzen und bestimmen, wie gut diese ihre Gene aktivieren können. Das ermittelten die Forscher, indem sie die Regulation der Gene in jenem Areal des Gehirns untersuchten, das auch bei uns Menschen das Suchtverhalten steuert. In den Nuclei Accumbentes war bei den anfälligen Ratten ein anderes Muster an Genen aktiv als bei jenen Tieren, die es kaum zum Suchtmittel zog. Im nächsten Schritt schauten sich die Chinesen die Spermien der Nager und ihrer Söhne an. Dort entdeckten sie tatsächlich systematische epigenetische Unterschiede zwischen den betroffenen Tieren und ihren jeweiligen Vergleichsgruppen: An einer bestimmten Stelle waren unterschiedlich viele Methylgruppen an die DNA angelagert.

Die untersuchten Ratten vererben also nicht nur ihre DNA, sondern auch einige zugehörige Elemente des epigenetischen Codes, die den Zellen eine Anleitung geben, wie gut oder schlecht sie benachbarte Gene benutzen können. Und das hat in diesem Fall Auswirkungen auf das Suchtverhalten. Interessanterweise waren die Resultate nicht davon beeinflusst, wie häufig die Tiere tatsächlich Kokain konsumierten. Es vererbte sich lediglich der Drang zur Droge, unabhängig davon, wie oft er befriedigt wurde. Das passt gut zu früheren Resultaten, nach denen die Nachkommen von Ratten, die dauernd Kokain erhalten, überdurchschnittlich resistent gegenüber der Droge werden (siehe Newsletter Epigenetik 01/2013: Vererbtes Risiko). In diesem Experiment konnten die Tiere ihre Sucht offenbar so leicht befriedigen, dass sie nicht aktiv nach der Droge suchen mussten. Dieser Umstand machte dann womöglich die Droge für die Nachkommen weniger attraktiv und diese somit weniger suchtanfällig.