Orakel in der Nabelschnur

Karen A. Lillycrop et al.: Association between perinatal methylation of the neuronal differentiation regulator HES1 and later childhood neurocognitive function and behaviour. International Journal of Epidemiology, 22.04.2015, Online-Vorabpublikation.

Vor allem aus Tierversuchen ist bekannt, dass epigenetische Veränderungen, die als Reaktion auf Umwelteinflüsse in der Zeit um die Geburt auftreten, Organismen ein Leben lang prägen können. Wissenschaftler, die sich mit dieser perinatalen Prägung oder Programmierung beschäftigen, finden immer mehr Hinweise, dass ähnliche Prozesse auch die Persönlichkeit und Krankheitsanfälligkeit von Menschen beeinflussen. Nun fanden Forscher aus Großbritannien und Singapur im Rahmen des globalen Konsortiums EpiGen tatsächlich eine epigenetische Markierung, die schon bei der Geburt Aussagen darüber erlaubt, wie sich das Kind später entwickelt.

Die Epigenetiker analysierten Zellen aus der Nabelschnur und fanden epigenetische Auffälligkeiten an einem Gen namens HES1, das für die Reifung und Entwicklung des Gehirns wichtig ist. Systematische Unterschiede beim DNA-Methylierungsmuster erlaubten danach eine Prognose über den Intelligenzquotienten von 175 vierjährigen sowie die Gedächtnisleistung von 200 siebenjährigen Briten. Zudem ließen sich Beziehungen zum Verhalten und der schulischen Leistung von 108 Kindern aus Singapur herstellen.

Die Forscher folgern daraus, dass schon vorgeburtliche Prozesse die Epigenome von Kindern beeinflussen, was wiederum unabhängig vom Kulturkreis Konsequenzen für spätere neurokognitive Fähigkeiten und das Verhalten der Kinder habe. Noch kann man zwar nicht ausschließen, nur eine Korrelation gemessen zu haben. Zudem sind die Ursachen für die epigenetischen Unterschiede unklar. Das Potenzial zum Orakel hat die Beobachtung dennoch – und es hätte sicher eine gehörige politische Sprengkraft, könnte man in Zukunft schon bei der Geburt eines Kindes abschätzen, wie gut es eines Tages in der Schule sein wird.