Am Anfang einer Krebserkrankung stehen praktisch immer eine oder mehrere genetische Mutationen. In ihrer Folge verändert sich die Zelle dramatisch, wobei auch die epigenetische Genregulation aus den Fugen gerät. So lautet das Lehrbuchwissen. Doch vielleicht müssen die Lehrbücher bald umgeschrieben werden. Denn einem internationalen Team um Giacomo Cavalli von der Universität in Montpellier, Frankreich, gelang es, bei Fruchtfliegen, Drosophila, Krebs alleine dadurch auszulösen, dass sie die Epigenetik der Tiere veränderten.
Die Forschenden hemmten in einer kritischen Phase der Entwicklung der Tiere für eine relativ kurze Zeit mit Hilfe der sogenannten RNA-Interferenz die Übersetzung eines Gens in das zugehörige Protein. Diese Substanz stammt aus der Familie der Polycomb-Proteine und ist epigenetisch aktiv. Sie dockt Methylgruppen an Histonproteine an, weshalb die Zelle benachbarte Gene schwerer ablesen kann.
In Folge dieses rein epigenetischen Eingriffs veränderte sich die Epigenetik an anderen Stellen des Fliegengenoms dauerhaft. Und das hatte wiederum zur Folge, dass Gene, die das Tumorwachstum fördern, von den Zellen weniger stark unterdrückt wurden. Damit war der Weg zum bösartigen Tumor gebahnt – und das völlig ohne genetische Mutation.
Noch ist zwar offen, ob das Resultat auf den Menschen übertragen werden kann, es handelt sich aber um eine sehr grundlegende Beobachtung.
Auch „bei Menschen können vorübergehende epigenetische Veränderungen durch Umwelteinflüsse entstehen, die spezifisch für die Lebensgeschichte einer Person sind,“ schreibt dazu die Zellbiologin Anne-Kathrin Classen von der Universität Freiburg in einem Begleitkommentar. Das könnten zum Beispiel Diäten oder Medikamente sein. Künftige Ansätze, Krebs des Menschen möglichst individuell zu verstehen, zu diagnostizieren und zu behandeln, sollten deshalb neben der Genetik auch die Epigenetik eines Tumors berücksichtigen.