Epigenetische Vererbung über vier Generationen

Gretchen van Steenwyk et al.: Transgenerational inheritance of behavioral and metabolic effects of paternal exposure to traumatic stress in early postnatal life: evidence in the 4th generation. Environmental Epigenetics 4, 16.10.2018, doi: 10.1093/eep/dvy023.

Katharina Gapp et al.: Alterations in sperm long RNA contribute to the epigenetic inheritance of the effects of postnatal trauma. Molecular Psychiatry, 30.10.2018, Online-Vorabpublikation.

Noch immer ist es hoch umstritten, ob Säugetiere ähnlich wie Pflanzen, Würmer oder Insekten epigenetisch gespeicherte Umweltanpassungen über die Keimbahn an mehrere folgende Generationen weitergeben, ob also eine echte transgenerationelle epigenetischen Vererbung existiert. Nach der klassischen Sicht werden bei Säugern und damit auch beim Menschen alle epigenetischen Markierungen in den Keimzellen – also in Eizellen und Spermien – gelöscht. Die Zellen werden reprogrammiert. Wir vererben demzufolge immer nur den Text der Gene und keinerlei Anweisungen dazu, wie diese reguliert werden sollen.

Für Menschen fehlen zwar eindeutige Belege gegen diese Front, aber zahlreiche Experimente mit verschiedenen Säuger-Arten zeigten bereits, dass diese sehr wohl epigenetische Anpassungen vererben können. Die Resultate blieben jedoch umstritten. Erstens fehlen laut den Kritikern klare Hinweise auf zugrunde liegende Mechanismen. Es sei offen, welche molekularbiologischen Signalwege die epigenetischen Informationen in der Keimbahn benutzten. Und es fehlen angeblich Belege, dass es sich um echte transgenerationelle Vererbung handelt, nicht etwa um eine eigenständige Anpassung der Keimzellen an einen Umwelteinfluss, denen sie selbst bereits im Leib der Eltern ausgesetzt waren. In diesem Fall spricht man von einer intergenerationellen Vererbung.

Jetzt veröffentlichte das Team um Isabelle Mansuy von der Universität Zürich zwei neue Studien, die jeweils einen der Kritikpunkte entkräften könnten. In beiden Fällen nutzen die Forscher ihr seit 2001 etabliertes Modell, bei dem männliche Mäuse in den ersten Tagen nach der Geburt systematisch vernachlässigt und traumatisiert werden. Diese Tiere zeigen typische Symptome: Sie sind weniger ängstlich, verhalten sich aber auch depressionsähnlich. Außerdem reagiert ihr Stoffwechsel anders. Oft sind sie auffallend schmächtig. Vielfach zeigte sich, dass all diese Symptome ganz oder teilweise an die Kinder und Enkel weitergegeben werden, obwohl weder deren Mütter noch sie selbst jemals traumatisiert wurden (siehe Newsletter Epigenetik 03/2010, 03/2014 und 04/2014).

Gretchen van Steenwyk und Kolleg*innen ermittelten nun bei mehr als 100 Mäusen aus mehrere Jahre auseinanderliegenden, offenbar gut reproduzierbaren Experimenten, dass einige der Auffälligkeiten frühkindlich traumatisierter Mäuse sogar bei deren Urenkeln nachweisbar sind. Dies gilt nicht für alle Merkmale, die Effekte sind zudem gering, und ein Teil der Symptome kehrt sich sogar um. Doch lässt sich all dies eigentlich nur per echter transgenerationeller epigenetischer Vererbung erklären. Zudem passen die Beobachtungen gut zu Resultaten anderer Gruppen und unzweifelhaften Befunden aus der Welt der Pflanzen und Insekten.

Katharina Gapp und Kolleg*innen konzentrierten sich hingegen auf die möglichen Mechanismen der epigenetischen Vererbung des Mäuse-Traumas. Sie entdeckten, dass bestimmte, so genannte lange RNAs in den Spermien der betroffenen Tiere gehäuft sind und die Genregulation des neuen Embryos beeinflussen. Manche der langen RNAs sind Botenmoleküle, die die Genregulation verändern können. Offenbar werden sie in Abhängigkeit von Umwelteinflüssen schon von Samenvorläuferzellen gebildet und prägen sogar die nächste Generation. Ähnliches hatte man zuvor bereits für kurze RNAs entdeckt (siehe Newsletter Epigenetik 02/2014).

Die  Forscher hoffen nun auf neue Erklärungsansätze für die Entstehung komplexer Krankheiten auch beim Menschen. Die epigenetische Vererbung rede hier wohl ein gewisses Wörtchen mit. Die früh traumatisierten Mäuse und die Vererbung ihres Traumas seien zwar nur ein Modell. Aber dieses zeige klare Parallelen zu einigen ernsten psychischen Krankheiten des Menschen, etwa zum Borderline-Syndrom.

Eine ausführliche Fassung dieses Artikels lesen Sie im Online-Magazin Erbe&Umwelt bei  RiffReporter.de: riffreporter.de/erbe-umwelt-peter-spork/trans-epigenetik/