Simone J.C.F.M. Moorlag et al.: Multi-omics analysis of innate and adaptive responses to BCG vaccination reveals epigenetic cell states that predict trained immunity. Immunity 57, 09.01.2024, S. 171-187.
Grob unterteilt gibt es zwei Arten des menschlichen Immunsystems: ein spezifisches und ein unspezifisches. Das eine richtet sich gezielt gegen einen Erregertyp, indem es abgestimmte Gedächtniszellen und Antikörper ausbildet, das andere bekämpft als fremd erkannte Zellen aller Art. Letzteres wird auch als angeboren bezeichnet, weil seine Strategie nicht erst durch den Erstkontakt mit einem speziellen Erreger angestoßen werden muss.
Schutzimpfungen täuschen Infektionen mit bestimmten Erregern vor oder bestehen aus abgeschwächten Erregern. So stimulieren sie das spezifische Immunsystem, damit es auf Infektionen mit exakt diesem Erregern vorbereitet ist und diese effektiv bekämpft. Doch es gibt Hinweise, dass zumindest manche Impfungen zusätzlich das unspezifische Immunsystem trainieren.
Am besten untersucht ist dieser Effekt bei der Tuberkulose-Impfung mit dem sogenannten Bacillus Calmette-Guérin (BCG-Impfung). Menschen, die damit geimpft wurden, scheinen nicht nur besser vor den Gefahren einer Tuberkulose geschützt zu sein, sondern auch vor Infektionen mit anderen Erregern. Es gibt sogar Hinweise, dass eine BCG-Impfung die Epigenetik unspezifischer Immunzellen systematisch verändert. Das beeinflusst auch die Aktivierbarkeit vieler Gene, deren Aktivität für das Immunsystem wichtig ist.
Jetzt hat sich ein Team von Epigenetikerïnnen um Mihai Netea von der Radboud University in Nijmegen und Christoph Bock vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien die Molekularbiologie unspezifischer Immunzellen von 323 gesunden Menschen vor und nach einer BCG-Impfung angeschaut. Dabei entdeckten sie eine Art epigenetische Signatur des trainierten Immunsystems. Immer wenn dieses spezielle Muster der nebengenetischen Markierungen auftrat, hatten die Menschen ein gut arbeitendes unspezifisches Immunsystem. Fehlte das Muster, arbeiteten die entsprechenden Immunzellen weniger gut.
Spannend ist nun, was die BCG-Impfung bewirkte: Bei jenen Menschen, deren Immunsystem weniger gut arbeitete – man spricht vom schlafenden unspezifischen Immunsystem – veränderte sich die Epigenetik, und das Immunsystem wurde aufgeweckt. Waren die Immunzellen aber bereits trainiert, hatte die Impfung keine Auswirkungen auf deren Epigenetik. Es gab zudem keine Hinweise, dass die Impfung eine Überempfindlichkeit des Immunsystems bewirkte.
Die Forschenden folgern daraus, dass die unspezifisch arbeitenden Immunzellen zwei verschiedene, epigenetisch regulierte Zustände kennen: einen wachen und einen schlafenden. „Unsere Studie zeigt die enge Verbindung zwischen den epigenetischen Zellzuständen und der trainierten Immunität“, sagt Christoph Bock in einer Pressemitteilung des CeMM.
Eine Impfung, aber zum Beispiel auch eine Infektion können das angeborene Immunsystem also aufwecken. Ist es allerdings schon trainiert, bewirken sie nichts. Aus Tierversuchen gibt es sogar Hinweise, dass die Epigenetik des aufgeweckten Immunsystems an folgende Generationen vererbt werden kann, so dass beispielsweise in Zeiten einer Pandemie die Nachkommen schon mit einem gut arbeitenden Immunsystem geboren werden.
Netea, Bock und Kollegïnnen schlagen nun vor, in Zukunft gezielt Mittel zu entwickeln, die das schlafende Immunsystem aufwecken können. Sie sollten allerdings nur nach einem epigenetischen Test eingesetzt werden, der nachweist, dass das unspezifische Immunsystem tatsächlich schläft.
„Ältere Menschen könnten dadurch ihr Immunsystem vor einem geplantem Spitalsaufenthalt stärken, man könnte vielleicht auch das unterdrückte Immunsystem von Krebspatienten damit wieder reaktivieren“, sagt Mihai Netea: „Mehrere Unternehmen forschen bereits an Wegen, um die trainierte Immunität ohne den Einsatz von BCG-Impfstoffen zu erreichen.“ Sogar bei zukünftigen Pandemien mit neuen Erregern, gegen die noch keine Schutzimpfung existiert, könnte ein solches Mittel helfen.