Intro August 2013

Photo Gattermann_klDie Epigenetik ist ein faszinierendes Forschungsfeld, nicht zuletzt weil sie uns zeigt, dass von der DNA-Sequenz unserer Gene sehr viel, aber nicht alles, abhängt. Verständlich ist auch, dass wir das Epigenom zu unseren Gunsten beeinflussen möchten.

In der Hämato-Onkologie scheint dies bereits zu gelingen. In Deutschland sind mit Azacitidin und Decitabin zwei epigenetisch aktive Substanzen als Medikamente zugelassen, die sich bei der Behandlung von Prä-Leukämien (myelodysplastischen Syndromen, MDS) und akuten myeloischen Leukämien (AML) bei älteren Patienten als wirksam erwiesen haben. Etwa die Hälfte der behandelten MDS-Patienten profitiert im Sinne einer Verbesserung der Blutzellzahlen und/oder einer signifikanten Verlängerung des Überlebens.

Es wäre schön, wenn wir durch Weiterentwicklung der genannten Medikamente die Therapieergebnisse verbessern könnten. Das setzt allerdings ein gutes Verständnis der Wirkmechanismen voraus. Leider steht es hiermit nicht zum Besten. Die einfache Vorstellung, wonach epigenetisch stumm geschaltete Tumorsuppressor-Gene durch eine Demethylierung an krankhaft zu stark methylierten Kontrollregionen wieder aktiv werden, konnten Forscher bislang im klinischen Kontext nicht untermauern.

Kürzlich untersuchten Jeffery Klco und Kollegen die Wirkung von Decitabin auf AML-Leukämiezellen mit eher enttäuschenden Ergebnissen. Nun stellen sich ernüchternde Fragen: Kennen wir einfach die entscheidenden Gene noch nicht, deren Hypomethylierung (verringerte Zahl angelagerter Methylgruppen) für den klinischen Erfolg entscheidend ist? Oder ist der messbare epigenetische Effekt nur ein „unwichtiges Nebenprodukt“ und die eigentliche Wirkung der Substanzen stammt von ihrer „gewöhnlichen“ tumorhemmenden Eigenschaft? Schließlich haben auch Histondeacetylase-Inhibitoren (HDAC-Hemmer) – die andere hoffnungsvolle Klasse der so genannten epigenetischen Medikamente – nicht nur Effekte auf das Epigenom.

Die Epigenetik ist faszinierend und sehr komplex. Die Tatsache, dass wir immer noch nicht genau erklären können, worauf der klinische Erfolg der bereits zur Verfügung stehenden epigenetischen Medikamente beruht, sollte unsere Erwartungen hinsichtlich der Geschwindigkeit des medizinischen Fortschritts auf diesem Gebiet jedoch ein wenig dämpfen.

Herzlich, Ihr Norbert Gattermann

(Foto: Gattermann)