Es ist unbestritten, dass Säugetiere im Laufe ihrer Embryonalentwicklung ein spezifisches Muster der epigenetisch besonders wichtigen DNA-Methylierungen aufbauen. Dieses Muster ist bei vielen Arten von Krebs systematisch und oft auch auf verblüffend ähnliche Weise gestört. Wo die biologischen Ursachen für dieses Charakteristikum liegen, ist bislang aber unklar. Nun haben Forscher der Harvard University, USA, um den Mitherausgeber dieses Newsletters, Alexander Meissner, eine neue Theorie präsentiert: Es könnte sein, dass die breite epigenetische Umprogrammierung von Krebszellen ein natürliches und entwicklungsbiologisch sinnvolles Pendant hat. Dabei handelt es sich um die Verwandlung des so genannten extraembryonalen Gewebes in die Plazenta. Dieses Gewebe schnürt sich in den ersten Tagen nach der Befruchtung des Eis von diesem ab.
Für die neue These sprechen epigenomische Daten, die Meissner und Kollegen bei Zellen aus den ersten Tagen im Leben von Mäusen gewannen. Dabei zeigt sich, dass im extraembryonalen Gewebe gleich hunderte bis dato methylgruppenfreie Stellen der DNA binnen kurzer Zeit methyliert werden. Das macht eine Reihe von Genen inaktivierbar, deren Aktivität für die Entwicklung der normalen Embryozellen in eines der gewöhnlichen Körpergewebe nötig ist.
Eine ganz ähnliche, schlagartige Verwandlung der epigenetischen Landschaft kennt man von den meisten menschlichen Krebsarten. Die Methylierung der Kontrollstellen (Promotoren) vieler Entwicklungs-Gene, die typisch für die Entstehung bösartiger Tumore ist, reflektiere womöglich also nur einen fehlgeleiteten natürlichen Plan, folgern die Forscher. Krebs sei danach so etwas wie ein spontaner Wechsel in ein anderes, in der epigenetischen Landschaft bereits im Zuge der Entwicklung eingraviertes Programm.