Stress der Mutter macht Kinder vielleicht resilienter

Eva Unternaehrer et al.: Maternal adversities during pregnancy and cord blood oxytocin receptor (OXTR) DNA methylation. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 22.04.2016, Online-Vorabpublikation.

Hormesis nennt man es, wenn geringe Mengen eines Giftes oder eines potenziell schädlichen Einflusses die Widerstandsfähigkeit gegen eben diesen Einfluss erhöhen (siehe auch die Meldung Lob der Widerstandskraft). Gute Beispiele für solche Effekte sind aus der Stressforschung bekannt: Geringe Mengen Stress sorgen nämlich oft dafür, dass später erlebte größere Mengen Stress weniger schädliche Folgen haben. Dass diese Regel auch dann noch gilt, wenn der Stress von der schwangeren Mutter erlebt wurde und man Resilienz-Faktoren beim Kind untersucht, dafür gibt es dank einer neuen Studie unter der Leitung von Gunther Meinlschmidt, Mitherausgeber dieses Newsletters, nun klare Indizien.

Die Forscher aus Basel, Bochum, Trier, München und Montréal analysierten im Nabelschnurblut von 39 Neugeborenen, wie stark deren Gen für den Oxytocin-Rezeptor per DNA-Methylierung epigenetisch auf inaktivierbar geschaltet war. Dabei zeigte sich, dass an das Gen umso weniger Methylgruppen angelagert waren, je mehr Belastungen oder depressive Phasen die Mutter zuvor erlebt hatte. Gilt das auch sonst im Körper des Neugeborenen, sollten dessen Zellen ungewöhnlich viele Andockstellen für das Hormon Oxytocin haben, was sie besonders empfindlich darauf reagieren lassen dürfte. Und da Oxytocin wichtig für soziale Prozesse wie die Eltern-Kind-Bindung und die Anpassung an Stress ist, spekulieren die Forscher, der Stress der Mutter habe die Epigenome der Kinder womöglich so umprogrammiert, dass diese besonders widerstandsfähig gegenüber einer belastenden Umwelt sind.

Vergleichbare ältere Studien haben sich bisher überwiegend mit den Auswirkungen außergewöhnlich starken vorgeburtlichen Stresses der Mutter oder von direkten Traumatisierungen der Neugeborenen selbst beschäftigt (Schlagwort „Stress“). Dabei fanden sich  meist negative Folgen für die epigenetische Prägung des Stressregulationssystems der Kinder. Der Unterschied zur neuen Untersuchung könnte daher rühren, dass die Mütter in der aktuellen Studie vergleichsweise geringe Belastungen ertragen mussten, vermuten die Forscher. „Die Resilienzforschung in diesem Bereich steht erst am Anfang“, sagt Meinlschmidt. Immerhin gebe es nun erste Hinweise, dass Belastungen in der Schwangerschaft nicht nur schaden, sondern auch Schutzmechanismen aktivieren könnten. Tatsächlich war ähnliches bisher nur aus einer 2014 publizierten Tierversuchsstudie bekannt. Damals hatte man entdeckt, dass sich die Nachfahren männlicher Mäuse, die in früher Kindheit traumatisiert worden waren, besonders zielgerichtet und flexibel verhielten (Newsletter Epigenetik 04/14: Positive Folgen von frühkindlichem Stress).