Epigenomik startet durch

NatureTitel_150219Roadmap Epigenomics Consortium: Integrative analysis of 111 reference human epigenomes. Nature 518, 19.02.2015, S. 317-330.

Casey E. Romanoski et al.: Forum Epigenomics: Roadmap for regulation (News & Views). Nature 518, 19.02.2015, S. 314-316.

Am 30. September 2008 startete die US-amerikanische Gesundheitsbehörde NIH (National Institutes of Health) das NIH Roadmap Epigenomics Mapping Consortium, kurz Epigenome Roadmap genannt. Der damalige NIH-Direktor Elias Zerhouni gab bekannt, seine Behörde werde eine Reihe führender US-amerikanischer Epigenetiker-Teams in den folgenden fünf Jahren mit insgesamt 190 Millionen US-Dollar unterstützen. Er erhoffe sich „Vergleichsdaten, die die gesamte Wissenschaftsgemeinschaft nutzen kann, um besser zu verstehen, wie die epigenetische Regulation funktioniert und wie sie Gesundheit und Krankheit beeinflusst“.

Alexander Meissner, Mitherausgeber dieses Newsletters und Leiter eines der 88 Projekte des Konsortiums, kündigte an: „Unser Ziel ist es, das gesamte Epigenom von 100 oder mehr verschiedenen menschlichen Zelltypen zu entschlüsseln.“ Jetzt meldete der aus Berlin stammende Assistant Professor der Harvard University und Arbeitsgruppenleiter am weltbekannten Broad-Institute mit seinen Kollegen Vollzug: Das Konsortium veröffentlichte im Fachblatt Nature sowie einigen weiteren Organen der Nature-Familie auf einen Schlag 24 Publikationen mit den umfassenden Daten der Epigenome Roadmap sowie den ersten Analysen, die sich aus der Auswertung der Epigenom-Karten ergeben. Verglichen wurden dabei kranke und gesunde sowie verschieden weit entwickelten Zellen oder Zellen aus unterschiedlichen Geweben.

Hinter dem Begriff Epigenomik versteckt sich die systematische Analyse der epigenetischen Schalter von Zellen sowie der Vergleich der Epigenome unterschiedlicher Zelltypen mit Hilfe modernster molekularbiologischer Techniken zum Bestimmen des DNA-Codes sowie der epigenetisch wirksamen Strukturen (DNA-Methylierung, Histon-Modifikationen, die Lage der DNA im Raum) und ihres Einflusses auf die Genaktivität. Anhand dieser epigenetischen Signatur stellten die Forscher eine Art Stammbaum der analysierten Zelltypen auf. Mit seiner Hilfe kann man nun die Verwandtschaft einzelner Zellen besser beurteilen – also aufschlüsseln, ob sie auf die gleichen mehr oder weniger weit ausdifferenzierte Sorten von Vorläuferzellen zurückgehen. Und man kann Zellen gezielt einem bestimmten Gewebe zuordnen sowie abschätzen, wie alt sie sind und welchen Ursprung sie im Körper haben.

Der Vergleich der Daten brachte schon jetzt einige bemerkenswerte Resultate: So gibt es einen neuen, detaillierten Blick auf die Differenzierung von embryonalen Stammzellen, also auf die ersten Schritte im Werden eines neuen menschlichen Lebens (siehe Meldung Erste Schritte im Leben eines Menschen). Zudem wird man dank ihrer nun bekannten epigenomischen Auffälligkeiten Zellen von Krebsmetastasen in Zukunft deutlich besser als heute dem Gewebe zuordnen können, von dem sie ursprünglich abstammen (siehe Meldung Epigenom verrät Ursprung von Metastasen). Und auch der Blick auf die Alzheimer‘sche Krankheit wird sich wandeln (siehe Meldung Ist Alzheimer eine Immunkrankheit?). Darüber hinaus entwickelten die Forscher viele neue Methoden, die der Molekularbiologie in Zukunft weiterhelfen werden.

Insgesamt gelang die Kartierung von 111 menschlichen Epigenomen von verschiedensten Zelltypen (siehe Abbildung, für eine Vergrößerung bitte anklicken). All diese Daten sollen als Referenz für zukünftige Vergleiche mit anderen epigenomischen Resultaten dienen und sind frei zugänglich im Internet aufgelistet. Die Daten finden sich neben vielen anderen Informationen auf den Internetseiten der Epigenome Roadmap. Besonders beeindruckend ist die Liste mit sämtlichen bisherigen Veröffentlichungen des Konsortiums. Eine Liste der 24 aktuellen Veröffentlichungen, die allesamt kostenfrei im Internet zur Verfügung stehen, findet sich auch auf den Internet-Seiten von Nature.

niehs-18_xlDie neuen Daten erlauben einen bislang einzigartigen Einblick in die epigenetische Genregulation. Man weiß nun viel genauer, wie die zahllosen epigenetischen Schalter einer Zelle ihre Genregulation beeinflussen, wie sich das Epigenom von Zellen während der gesunden biologischen Entwicklung verändert und wie es sich im Krankheitsfall wandelt. Die gewonnenen Daten werden nach Einschätzung praktisch aller Kommentatoren dabei helfen, besser zu verstehen, wie Veränderungen im Genom (dem DNA-Text der Gene) und im Epigenom (der zusätzlichen, molekularbiologisch fixierten Steuerungsebene der Genregulation) zu Krankheiten wie Morbus Alzheimer, Krebs, Asthma und entwicklungsbedingten Störungen von Neugeborenen führen können.

„Diese Karten sind wie Schnappschüsse, die das menschliche Genom bei der Arbeit festgehalten haben“, sagt Bing Ren von der University of California, der sich auf die Erfassung des Histon-Codes von Zellen spezialisiert hat, also auf die epigenetische Veränderung der Proteine, um die sich die DNA aufwickelt und die über eine Veränderung der Struktur des Chromatin genannten DNA-Protein-Gemischs die Aktivität der Gene epigenetisch reguliert. Doch wie alle seine Kollegen weiß er natürlich auch, dass noch sehr viel Arbeit vor ihm liegt. Die neuen Epigenom-Karten entfalten erst durch den Vergleich mit weiteren epigenomischen Analysen ihr volles Potenzial.

Solche Daten werden derzeit auf der ganzen Welt fieberhaft gesammelt. Das International Human Epigenome Consortium (IHEC) ging im Januar 2010 an den Start. Sein Ziel ist es, mindestens 1000 Referenz-Epigenome zu entziffern. Die Europäische Union beteiligt sich mit dem Projekt BLUEPRINT daran, das sich die Analyse von je 50 Blutzelltypen von Gesunden und Leukämiepatienten sowie acht Zelltypen von Diabetikern vorgenommen hat. Und seit 2012 mischt Deutschland mit seinem Deutschen Epigenomik Programm (DEEP) ebenfalls mit. Hier ist das Ziel, 70 Epigenom-Karten von Zellen zu erstellen, die bei Stoffwechsel- und Entzündungskrankheiten wie Fettsucht, Rheumatoider Arthritis, Fettleber und entzündlichen Darmerkrankungen eine Rolle spielen.

All diese Projekte wären undenkbar, hätten die Genetiker nicht im Jahr 2004 den menschlichen DNA-Code erstmals vollständig entschlüsselt. Erst danach konnten sie sich der die Ebene der Genregulation zuwenden. Und jetzt hoffen sie darauf, dass es die Kombination aus Genomik und Epigenomik sein wird, die zum wahren Verständnis der biomedizinisch so unerhört wichtigen molekularbiologischen Prozesse im Inneren unserer Zellen führt. Der Ausblick, den die Nature-Redaktion in ihrem Editorial zum Schwerpunktthema fand, bringt die Lage auf den Punkt: „Bei menschlichen Krankheiten wirken Genom und Epigenom zusammen. Der Versuch, Krankheiten alleine mit Hilfe genomischer Information anzugreifen, war, als hätte man eine Hand auf dem Rücken gefesselt. Der neue Schatz an epigenomischen Daten befreit diese Hand. Das wird zwar nicht sämtliche Antworten liefern. Aber es könnte Forschern bei der Entscheidung helfen, welche Fragen sie in Zukunft stellen sollen.“

Abbildung oben: Das Nature-Cover vom 19. Februar 2015 (Bildrechte: Nature)

Abbildung unten: Referenz-Epigenome wurden von mehr als 100 Zell- und Gewebetypen ermittelt (Bildrechte: Nature und Roadmap Epigenomics Consortium)